Freie Assoziation
Online-Tagung zu antiautoritärem Kommunismus
28.-30. Mai 2021
„Die Gefahr der Diktatur der utopischen Fantasie ist begrenzt. Ich würde sogar sagen andersherum: Ein breiter Diskurs über mögliche Zukünfte kann sogar helfen Autorität abzubauen, indem er das Gespräch pluralisiert, öffnet, transparent macht und die Möglichkeit der Partizipation, der Teilhabe, der gemeinschaftlichen Konstruktion einräumt.“
– Bini Adamczak –
Zum Nachhören & -sehen:
Vielen Dank an Teilnehmer*innen und Referent*innen, dass Diskussionen und Inputs online bleiben dürfen! Hier findet ihr die Videos und darunter Beschreibungen. Die YouTube-Playlist gibt’s auch hier.
Michael Brie – Kommunistische Autorität und Freiheit
Bini Adamczak – Sozialismus, for real?
Diesseits oder Jensteits der (Lohn-)Arbeit – Brand, Habermann & Heinrich
Corinna Dengler & Antje Schrupp: Care, Arbeit und Schwangerwerdenkönnen
Simon Sutterlütti – Räte, Planung und Commonismus
Klopotek, Seyferth, McNeil: Poststaatliche Umweltpolitik?
Krise, Kämpfe, Revolution – Indigo, Nilda Inkermann und Nina Scholz
Matthias Neumann – Das Ganze der Arbeit solidarisch gestalten
Annette Schlemm – Die Crux mit der inklusiven Interessensvermittlung
Almut Birken – Rätebewegung im (nicht-kurdischen) Syrien
Michael Brie betont die Notwendigkeit von Utopie und entwirft eine sozialistische Ökonomie, in der sich eine Markt-, Staats-, Commons- und Selbstversorgungssphäre gegenseitig ergänzen. Diskussion um staatliche Autorität, ob solche wirtschaftliche Mischungen möglich sind, Staatssozialismus und Commons.
Bini Adamczak diskutiert die Autoritarisierung des Realsozialismus und das revolutionäre Dilemma von Niederlage und Scheitern. Diskussion ob Realsozialismus als Staatskapitalismus begreifbar ist, Rolle von Utopien in der Oktoberrevolution, antifaschistische Bedeutung der UdSSR, Vorteile des Realsozialismus, u.v.m.
Scharfe Diskussion zwischen Friederike Habermann, Michael Heinrich und Ulrich Brand. Habermann und Heinrich argumentieren, dass eine bedürfnisorientierte und ökologische Gesellschaft nur jenseits von Waren, Geld und (Lohn-)Arbeit und damit jenseits von Markt- und Staatssozialismus zu haben ist. Ulrich Brand hält dagegen.
Corinna Dengler diskutiert Care, reproduktive Arbeit, die ‚Lohn für Hausarbeitsdebatte‘ und die neuere Idee eines ‚Care Incomes‘ vs. Caring Commons. Antje Schrupp wie eine Gesellschaft solidarisch mit Schwangerwerdenkönnen umgehen könnte. In der Diskussion geht es um Reproduktionstechnologien, Verantwortung, gemeinschaftliche Sorge, Naturbeziehung und Andrea Vetter hält noch ein kleines Koreferat in der sie kritisiert, dass auch weitgehende Utopie von einem freiflotierenden Homo oeconomicus mit Vertragsbeziehungen ausgehen.
Simon Sutterlütti entwirft eine commonistische Koordination zwischen den dem dezentralen Pol des Anarchismus und dem zentralistischen Pol des (Räte-)Kommunismus. Diskussion um gestaffelte Abhängigkeiten, Knappheit, Seilschaften, Räte der Zapatistas, gesamtgesellschaftliche Planung, Utopieferne und Gegewartsgebundenheit, u.v.m.
Wie bleibt das Öl im Boden, wenn es keinen Staat mehr gibt? Peter Seyferth entwickelt aus der Theorie internationale Beziehungen Probleme für eine anarchistische Governance. Felix Klopotek spricht über Aufstände, Kommunen und Geschichte. Nadine McNeil kommentiert und fragt nach Potentialen des Mietshäusersyndikats. Diskussion um Räte, Arbeitslasten, Verteilungskämpfe, Regeln u.v.m.
Podiumsdiskussion zur Überwindung des Kapitalismus. Unter anderem geht es um Bezug auf Staat und Reformen, Gewerkschaften, Mieter*innenkämpfe, Ausdauer sozialer Bewegungen, bedingungslosem Grundeinkommen und Verbindung von Re/Produktion und Kämpfen.
Matthias Neumann kritisiert Utopien dafür, dass viele Care-Arbeit und Sorgebeziehungen nicht ernst nehmen und denkt grundlegend darüber nach, wie eine Gesellschaft das Ganze der Arbeit solidarisch gestalten kann . Diskussion um Asymmetrie der Sorgebeziehung, unangenehme Arbeit, gesellschaftliche Sicherheit, Aufteilung der Sorgearbeit, Konflikten, u.v.m.
Annette Schlemm entwickelt den Begriff des Interesses, kritisiert den Commonismus und betont die positiven Aspekte des Realsozialismus und die schwierigen historischen Umstände. Simon Sutterlütti argumentiert in seinem Koreferat, dass die Abschaffung von Ware, Geld und Lohnarbeit auch unter Knappheit möglich ist, der Realsozialismus keine wirkliche Alternative war und anderes. Diskussion ob der Realsozialismus nicht auch Kapitalismus im Sinne von einer Arbeitsgesellschaft ist, Konzept der immateriellen Arbeit, u.v.m.
Almut Birken berichtet über die Rätebewegung im nicht-kurdischen Syrien, die Probleme dort und was wir davon lernen können. In der Diskussion geht es unter anderem um die Potentiale von Räten, internationale Solidarität, Gefahr der NGOisierung und die Frage ob man doch zuerst mit der Ökonomie beginnen sollte.
Gesellschaftliche Planung jenseits von Klassen und (Lohn-)Arbeit
Am 28. Mai 1871 wurde die Pariser Commune endgültig niedergeschlagen, 150 Jahre später kämpfen Menschen noch immer für eine Gesellschaft jenseits von Klassen, (Lohn-)Arbeit, Patriarchat und Herrschaft. Im 19. Jahrhundert machte es das Geschichtsvertrauen überflüssig, diese Gesellschaft genauer zu bestimmen, sie war als Resultat von Revolutionen sicher verbucht. Doch die Geschichte zerbrach dieses Vertrauen. Die Träume wurden vielerorts zu Albträumen, sodass emanzipatorische Linke heute aufgefordert sind, aus Fehlern und Erfolgen zu lernen und auf eine der schwierigsten und unbeliebtesten Frage: ‚Aber wie denn sonst?‘ Antworten zu suchen. Das Bilderverbot muss enden und war sowieso niemals als Denkverbot gemeint. Eine Verständigung über die Grundzüge einer klassenlosen Gesellschaft erscheint notwendig, wenn die kapitalistische Alternativlosigkeit gebrochen werden soll. Noch bleibt die utopische Debatte häufig vereinzelt und verstreut, sodass wir auf der Tagung versuchen Vertreter*innen einer Planung jenseits von Klassen, Staat und abstrakter Arbeit (Rätekommunismus, kommunistischer Anarchismus, libertärer Sozialismus, Commonismus, etc.) zusammenzubringen, um zentrale Fragen der Entscheidungsfindung, Organisation der Tätigkeit, Verteilung, Koordination und Planung weiter zu entwickeln. Denn vor dem Hintergrund vielfältiger historischer Erfahrungen mit markt- und staatssozialistischen Gesellschaften und deren Fortschreibens einer Vergesellschaftung über Arbeit und Gewalt, stellt sich weiterhin die Frage, wie eine Re/Produktion zu organisieren wäre, in deren Zentrum menschliche Bedürfnisse und eine ökologische Zukunft steht.
Was kann an die Stelle von Markt und Staat treten? Wie koordiniert und plant sich eine global vernetzte Assoziation der Re/Produzent*innen? Wie erreicht sie globale Verbindlichkeit bspw. bei Klimafragen und wie verhindert sie neue Machtstrukturen? Können Rätestrukturen helfen und machen diese nur Vorschläge oder können sie ihre Vorschläge gesellschaftlich durchsetzen? Wären die Räte damit quasi-staatlich? Wenn Reichtum nach Bedürfnissen statt nach Macht und Leistung verteilt wird: wie werden unbeliebte Aufgaben verteilt und organisiert? Welche gesellschaftlichen Mechanismen verhindern Diskriminierung oder machen sie gar überflüssig? Wie trifft solch eine Gesellschaft Entscheidungen und löst Konflikte? Wie geht sie mit ökologischen Grenzen um und verteilt knappe Ressourcen? Was bedeutet die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln und Konsumtionsmitteln konkret? Wer verfügt über die Produktionsmittel und wer verteilt die Produkte? Die Tagung möchte in solidarischen Streit diese Frage vertiefen und mögliche Antworten diskutieren.
Ein paar andere Appetitanreger
Translib Leipzig – Utopie und ihre Rolle für die Emanzipation
Simon Sutterlütti – Koordination und Planung im Commonismus
Bini Adamczak – Aufgaben und Gefahren von Utopie
Friederike Habermann – Warum gutes Leben für alle tauschlogikfrei sein muss
Felix Klopotek – Die Linie Karl Korsch und Amadeo Bordinga
Gabriele Winker – Solidarische und nachhaltige Care-Ökonomie